Editorial Futour Zeitgeist

Editorial 2

“Wenn Sie etwas Gutes tun möchten, fangen Sie bei sich selbst an.”

So lautete der letzte Satz des ersten Editorials von Tawahi vor gut 10 Jahren. Und da ein Jahrzehnt heute so etwas wie ein Jahrhundert für unsere Großeltern ist, ist es an der Zeit die inhaltliche Ausrichtung von Tawahi zu prüfen, um Ihnen verehrte Leser*innen die notwendige Orientierung in diesen unübersichtlichen Zeiten an die Hand zu geben. Nehmen wir also ein paar Entwicklungen etwas genauer unter die Lupe, polieren die Glaskugel und horchen in uns hinein.

Wo geht sie hin, die Reise mit den Reisen?

Liest man sich das Editorial von 2009 durch, stellt man fest, dass viele Punkte kaum an Aktualität eingebüßt haben. Die Suche nach sich selbst mithilfe des (authentischen) Anderen auf Reisen ist ungebrochen. Das Zusammentreffen mit anderen in der Fremde soll den eigenen Horizont erweitern, das Denken anregen und die Persönlichkeit ausbilden. Dagegen wäre erst mal nichts einzuwenden, wenn … . Wenn, ja wenn, die Reisedauer nicht seit Jahren rückläufig wäre, und die Anzahl der Reisen gleichzeitig jedes Jahr zunehmen würde.

Das heißt, dass die meisten von uns gar nicht mehr die Zeit haben, in Chefchaouen die ein oder andere Woche mit einem Buch von Paul Bowles beim Konsum lokaler, landwirtschaftlicher Produkte zu versumpfen oder sich nach einem kleinen Opiumpfeifchen in den laotischen Bergen mal ordentlich auszuschlafen. Stattdessen eine Woche Vietnam, zehn Tage Neuseeland oder ein Wochenende Barcelona. Bäähm!

Und dann wären noch unsere wohlstandsverwahrlosten Flashbeger, die sich damit brüsten, kostenlos um die Welt zu reisen. Hat man sich noch bis vor Kurzem Gedanken über die Auswirkungen der eigenen Reise auf die Bereisten gemacht, so geht es mittlerweile offensichtlich nur noch um die eigene story und gute Bilder für die einschlägigen sozialen Netzwerke. Klingt nach früher war alles besser. Nur was antwortet man einem jungen Vortragsreferenten, der nach einem 2-stündigen, multimedial perfekt aufgearbeiteten Vortrag auf die Frage nach dem Warum antwortet: „Ich habe die Reise nur für mich gemacht.“? Reisen als Selbstzweck.

Diese Entwicklung ist offenbar auch der Tatsache geschuldet, dass die heutige Generation von Reisenden immer weniger vor Ort (mental) eintauchen, da sie mithilfe mobiler Endgeräte und sozialer Netzwerke de facto 24/7 mit ihren peers verbunden sind. Und wenn die Erfahrung des Auf-sich-allein-gestellt-sein zunehmend verloren geht, ist der Schritt zu virtuellen Reisen womöglich nicht mehr weit.

So weit so gut. Gut?

Alles könnte so schön sein, wenn da nicht dieses Mädchen aus Schweden eine Debatte losgetreten hätte, die mittlerweile auch der letzte Vielflieger nicht mehr ignorieren kann. Ich,Ich, Ich ist halt kein Ansatz mit dem man die heutigen Herausforderungen in den Griff bekommt.

Hat man nicht auf seinen Reisen die Erfahrung gemacht, wie sich eine Dusche nach zwei Wochen in den Bergen anfühlt, was es meint nach Tagen mit Ravioli aus der Dose und Beuteltee mal wieder eine Schokolade zu verzehren? Verzicht und nicht Dauerkonsum, zumal nicht auf Kosten anderer, kann etwas Befreiendes sein. Aber wann will man diese Erfahrung in zehn Tagen Neuseeland auch machen?

Leider bewahren wir die Schätze dieser Erde nicht, indem wie immer mehr Reisen. Kein noch so oft gespendeter Zehner an Atmosfair verhindert den möglichen Kollaps unseres Planeten. Genauso wenig helfen unsere Reisen dem lokalen Guide, Kofferträger oder Koch ein anständiges, würdevolles Leben zu führen. Wirklich nicht? Nein.

Es wird langsam Zeit meine Freunde unseren (Reise-)Konsum einzuschränken, auf Reichweite zu verzichten und stattdessen mehr sinnstiftende Dinge anzugehen. Das würde sicherlich wieder zu mehr Resonanz in unserem Alltag und auf unseren Reisen führen. Das ist offenbar genau das, was viele suchen, aber immer weniger finden.

Zeit also die Wohlstandsblase zu verlassen und sich mit weniger „höher, weiter, schneller“ anzufreunden. Probieren Sie es mal aus!