Gut zweitausend Jahre nach der Flucht des Kindes Jesu nach Ägypten und ziemlich genau 18 Jahre nach meinem letzten Stayover im Land der fehlenden Nasen war es Anfang November so weit: Ein gut aufgelegter Pilot der Condor brachte uns pünktlich und gut informiert ins sommerliche Hurghada am Roten Meer. Ich war aufgeregt, hatte ich doch viel Zeit während und nach meinem Studium in Ägypten verbracht und hier meine ersten Berufserfahrungen gesammelt. Erst später wurde mir bewusst, wie sehr mich doch die „ägyptische Schule“ geprägt hatte. Damals verließ ich das Land als junger, unerfahrener Reiseleiter mit einem Jobangebot eines noch jungen Reiseveranstalters in der Tasche und komme nun als Produktverantwortlicher eben dieses Veranstalters hierhin wieder zurück.
Mir war klar, dass mich neben meinem straffen Programm viele Erinnerungen von damals erwarten würden. Es fühlte sich vieles vertraut an: der ägyptische Dialekt, das einzigartige Kosheri oder die Unmengen von Jugendlichen, die abends in den Cafés Tee trinkend Shisha rauchen oder wahlweise Händchen haltend durch die Straßen flanieren. Nach einem kurzen Stopover im All-Inklusive-Ressort (silbernes Armbändchen) verbrachte ich zwei Tage mit den Beduinen in den Bergen des Roten Meeres bevor ich im Anschluss weiter per Bus und Zug bis nach Assuan reiste. Es war ein Tag, der alles bot, was man sich als Reisender nur wünschen kann. Erst verpasste ich den Bus, dann wurde ich vom Taxifahrer vor wartender Busmannschaft abgezogen. Der anschließende Zug hatte 5 h Verspätung und am Ende konnte ich einer Konfrontation mit einem guten Dutzend bereits hoffnungslos verlorener Jugendlicher nur haarscharf entgehen. Es war als wäre ich niemals weg gewesen oder anders gesagt, ich war in der Zwischenzeit älter geworden und die nächste Generation Ägypter schien immer noch genauso drauf zu sein wie ihre Altvorderen.
Der fatalistische Dreiklang aus Flucht ins Religiöse, ins Ausland oder in das stumpfe Befolgen von Vorgaben hat sich meiner nach nur etwas in Richtung einer neuen Diktatur der Dummheit verschoben. Der Frust sitzt tief und man kann sehr gut verstehen, warum die Menschen einem vor Ort so begegnen wie sie einem begegnen. Man kann es die „ägyptische Schule“ nennen, oder aber den täglichen Kampf ums Überleben. Bei dem keine Zeit bleibt und auch von staatlicher Seite keine Zeit zur Verfügung gestellt wird, sich Bildung anzueignen, um einmal über den Tellerrand zu blicken, kurz, eine Perspektive zu haben.
Und so reist man durch ein Land, in dem trotz des ständigen Trubels und Lärms eine gespenstige Ruhe herrscht, die fast bis in jeden Winkel zu spüren ist. Es ist wie das Leben auf einem Vulkan, der jede Zeit ausbrechen kann und wo jeder in der Gewissheit lebt, dass es dazu früher oder später auch kommt.
Einzig bei den Beduinen auf dem Sinai, wo ich das erste Mal als Reiseleiter arbeitete, traf ich ein Stück Gelassenheit, Selbstsicherheit und Verlässlichkeit an. Auch wenn die Küstenorte Sharm el Sheikh und vor allem Dahab einen Großteils ihres Charmes verloren haben, findet man bspw. in Nuweiba immer noch die angenehme Laid-back Atmosphäre der frühen 90er, in der man glaubte, das Schlimmste läge hinter einem. Und gleichwohl der Arm des großen Esels auch bis in die letzten Wadis und Hammatas reicht, so lässt sich auf dem Sinai abseits der großen Zentren immer noch die alte Kombination aus Beduinen-TV mit in Syrien hergestellten Produkten genießen.
Vielleicht war es vor allem diese Art des Reisens, die mich auch früher schon am meisten interessiert hat. #Followthesun, der offizielle Slogan des Fremdenverkehrsamt ist es jedenfalls nicht. Und auch wenn ich mich und mein Ägypten in den letzten beiden Dekaden verändert habe, wir uns vielleicht ein wenig voneinander entfernt haben, so kann ich dennoch sagen, dass ich meine Liebe für das einfache, nomadische Leben wiederentdeckt habe. Und genau dazu sollte Reisen immer wieder „dienen“: alte, verschütt gegangene Leidenschaften wieder zu entdecken und innezuhalten und sich zu fragen, wie es um sie eigentlich gegenwärtig bestellt ist. Und dabei geht es nicht darum, die Erlebnisse von damals zu romantisieren, sondern vielmehr sich selbst zu hinterfragen, ob dieser Wohlstand, mit dem man sich umgibt, notwendig ist. Aber das führt nun doch ein wenig zu weit, oder?