Asien Reiseberichte

Heeme bei Gott

Im Mai reiste ich ein weiteres Mal auf den Spuren all derjenigen, die sich in den letzten 5000 Jahren vor mir in diesem Landstrich am östlichen Mittelmeer herumgetrieben haben. Und das waren vor allem die, die zu ihrer jeweiligen Zeit die Hosen anhatten. Ihr Beweggründe waren sicherlich dieselben wie meine. Weil, so geht jedenfalls der libanesische Witz, der Libanon das Land ist, dass Gott eigentlich bei der Aufteilung der Erde unter den Völkern für sich reserviert hatte. Aber als die Libanesen zu ihm sagten, sie hätten nichts bekommen, hat er ihnen kurzerhand sein Land geschenkt.

Offenbar unterschätzen sie jedoch die Bürde, die damit einhergeht. Wer will nicht mal das Land besuchen, das Gott für sich ausgesucht hatte? Sie nicht? Ich schon! Und ohne es zu wollen, hatten die Libanesen und Libanesinnen immer wieder Besuch, irgendwelchen Typen auf Bude. Und das seit 5000 Jahren. Ständig und immer wieder Gäste. Meist auch noch uneingeladene. Assyrer, Babylonier, Mongolen, Ägypter, Perser, Türken und so weiter und so fort. Ganz schön anstrengend müsste man meinen, oder?

Die Menschen haben jedoch aus der Not eine Tugend gemacht. Damals wie heute. Wer die Bewohner dieses Küstenabschnitts verstehen will, muss sich deren Geschichte anschauen. Ganz schön platt, zugegeben, aber irgendwie ziemlich zutreffend für die Levante. Zum einen das im Heute leben, das Beste aus dem Hier und Jetzt machen. Klingt ein wenig nach Psychotipps aus 2023. Für die Libanesen aber ein alter Hut. Anderseits lebt das Erbe der ersten Hochkultur – die der Phönizier – bis heute im Libanon fort. Die Orientierung nach außen, in die Welt hinaus, war schon ganz früh Teil ihrer DNA. Als Händler beherrschten sie nicht nur das Mittelmeer, sondern waren auch auf der Seidenstraße präsent. Die Einnahmen wiederum bildeten das Fundament ihres Wohlstandes.

Heute leben etwa 15 Millionen Libanesen in der Diaspora. Etwa 3-mal so viele wie im Land selbst. Schon früh haben sie verstanden, das Beste ihrer Besucher erst zu übernehmen, dann weiter zu entwickeln, zu verfeinern und schließlich wieder zu exportieren. Ständige Veränderung als Impuls neue Erkenntnisse aufzusaugen und gleichzeitig gelassen und positiv zu bleiben. Das steht im deutlichen Gegensatz zu vielen Bergvölker, die große Probleme mit Veränderungen hatten und haben. Und diese Neugier, deren physionomische Ausprägung in den Gesichtern im Libanon ihren Widerhall findet, macht wiederum die Attraktivität der Region aus, weswegen wieder neue Generationen angezogen werden wie die Motten vom Licht. Ein Teufelskreis, im positivsten Sinne.

Das erklärt auch in meinen Augen, warum die Menschen in einem Land, das aktuell wirtschaftlich, aber auch politisch mit einem Land im Kriegszustand vergleichbar ist, immer noch nicht resigniert haben. Trotz mehr als 300% Inflation, extrem hoher Arbeitslosigkeit und marodem Gesundheitssystem. Gleichwohl sehen zunehmend viele junge Menschen ihre Zukunft im Ausland. Auch das gehört zur Wahrheit.

Aber trotzdem oder gerade deswegen wird zumindest in Beirut an vielen Orten gefeiert. Wirtschaftskrise? Hyperinflation? WTF! Who cares! Ein wenig hat mich die Stimmung an die 90er Jahre im Osten Deutschlands erinnert. Das Leben geht weiter. Und offensichtlich funktioniert das auch ohne Regierung und ohne Präsidenten. Fast schon ein wenig anarchisch das Land mit den schneebedeckten Bergen.

Klar ist das Leben hart. Das möchte ich nicht schönreden. Und als Durchreisender bekommt man auch nie das wahre Ausmaß der Lage mit. Vieles bleibt anekdotenhaft. So auch nicht die Lage der knapp 1 Million Flüchtlinge im Land. Kein Land der Welt hat anteilig mehr Flüchtlinge aufgenommen als der Libanon. Bähm! Diese, da bin ich mir sicher, bringen neue Ideen, Wandel und Motivation mit, um sich ein neues Leben aufzubauen. Etwas, das uns saturierten, teilweise schon degenerierten westlichen Gesellschaften völlig abgeht, nur noch in Form von Lippenbekenntnissen stattfindet. Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.