Afrika Ränder der Globalisierung Reiseberichte

In der Karibik Afrikas

Alle guten Elternzeitreisen sind drei, oder? Gesagt, getan.

Anfang Januar reisten wir auf den Spuren, der von Heinrich dem Seefahrer finanzierten portugiesischen Entdeckern gen Süden, in Richtung Afrika. Im Gegensatz zu den tollkühnen Postfliegern, die Anfang des letzten Jahrhunderts auf der gleichen Route wie zuvor die Kapitäne unterwegs waren, aber oft genug in den Tiefen der Sahara verschollen blieben, erspähten wir 621 Jahre nach dem Venezianer Cadamosto aus dem rechten Fenster unseres Flugapparates die Umrisse einer wüstenartigen, felsigen, ja geradezu unwirtlichen Vulkaninsel. Diese, nach dem heiligen Vizenz von Valencia, dem Schutzpatron Portugals, benannte Insel – Sao Vicente, ist eine von 13 im Atlantik verstreut liegenden Inseln, die den Inselstaat Kapverden bilden.

Mindelo, 13 Uhr, die Friseur sitzt nicht. Es herrscht um diese Jahreszeit starker Passatwind aus
Nordost, weswegen die Insel bei Surfern sehr beliebt ist. Nicht zufällig kommt der ein oder andere Kite-Surf-Weltmeister aus dem Land vor der Küste Westafrikas. Kurze Zeit später hatten wir unsere Bleibe in Ribeira Bote (dem Connewitz Mindelos) bezogen. Von hier aus entdeckten wir in den nächsten Tagen und Wochen unsere neue Heimat. Mal zu Fuß, öfter mit dem ÖPNV, nur das Taxi musste ohne uns fahren. Das Warenangebot in den kleinen Läden (es gibt keinen richtigen großen Supermarkt) war angenehm überschaubar. Alles, was man braucht, findet den Weg per Schiff auf die Insel. Der Hafen, der Anfang des 19.Jh. von den Briten ausgebaut wurde und als Kohlestation auf dem Weg nach Südamerika diente, ist auch heute noch das Herz der Stadt, ihr Tor zur Welt. Die Kapverden sind ein klassisches Auswanderungsland. Das haben Sie mit ihrer einstigen Kolonialmacht Portugal gemeinsam. Die Stadt erinnert ein wenig an Aden, die frühere britische Hafenstadt am südlichen Zipfel der Arabischen Halbinsel. Beide gehörten zu den größten Häfen zur Zeit der Dampfschifffahrt und somit auch zu den multikulturellsten, aber auch verdorbenen Orten der damaligen Zeit.

Seitdem ging es nur bergab.

Während Aden im Bürgerkrieg versinkt, hält sich Mindelo wacker. Seiner geostrategischen Lage sei Dank. Von der glorreichen Zeit ist auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen. Ein Blick in die Gesichter der Mindeles*innen spricht jedoch eine andere Sprache. Viele Jahrhunderte war die Insel unbewohnt und erst mit dem Bau des Hafens zogen die ersten Bewohner ein: portugiesische Beamte und Soldaten, britische Missionare, Händler und Telegrafenarbeiter sowie billige Arbeitskräfte aus Westafrika, hier vor allem aus Guinea-Bissau. Et voila, kaum war es dunkel und der Herrgott im Bett fand die Gen-Polonäse statt.

Aber auch heute verraten die (portugiesischen) Namen der großen Firmen, die oft (brasilianischen) Produkte im Supermarkt und das Potpourri an westafrikanischen Sprachen auf dem Markt, dass sich an den verschiedenen Einflüssen seit der Zeit der steamer wenig geändert hat. Jedoch geht es heute ruhiger zu. Statt der Dampfer spucken nun modernen Ozeanriesen in regelmäßigen Abständen wohlgenährte, westliche Touristen aus, die unbeholfen und nach Orientierung suchend auf ihre Endgeräte starren. Um den kulturellen Schmelztiegel am Köcheln zu halten, braucht man jedoch ihr Geld. Die verschiedenen kulturellen Einflüsse zeigen sich am deutlichsten in der Musik der Kapverden, wo Samba, Funana und Fado aufeinander treffen. Ähnlich wie dem Kreol, der auf den Inseln gesprochen lokalen Sprache, die Einflüsse aus dem englischen, französischen, portugiesischen, aber auch dem Wolof aufweist, haben die kapverdianischen Musiker*innen ihren ganz eigenen Musikstil kreiert. Diesem kann sich keiner entziehen. Musik durchdringt den Alltag zu jeder Zeit, an fast jedem Ort. Eine Beerdigung ohne Musik? Undenkbar.

Kulinarisch haben die Portugiesen die Hand drauf. Ihre einfachen Bohnen und Mais dominierte Küche passt am besten zu den sehr kargen Inseln. Übergewichtige Kapverdianer*innen muss man suchen.

Das angenehme für uns Langnasen in Begleitung von Minderjährigen ist, dass die Verwaltung, die medizinische Versorgung, der öffentliche Nahverkehr, kurz der Staat gut funktioniert. Der Einfluss Lissabons ist offensichtlich. Was die Kapverden von Portugal jedoch fundamental unterscheidet ist deren afrikanischer Einfluss. Vorsicht, dünnes Eis! Man kann es Mangel an Entfaltungsmöglichkeiten, Gottesgläubigkeit oder fehlender Bildung zuschreiben. Tatsache ist, dass die Menschen auf den Kapverden ungleich häufiger den Daumen nach oben strecken und das Ganze in die Wortformel „No Stress“ gießen. Genau diese Mischung hat es uns angetan.

Der berühmteste Dichter der Insel hat sie als die Tochter von Ozean und Himmel bezeichnet. Im Gegensatz zu den Jungs und Mädels auf Hiddensee sind die hiesigen Menschen anderen Einflüssen offen gegenüber, weil auf jede(n) Einwohner*in drei in der Diaspora kommen. Sie sind abroad zu Hause, aber vermissen ihre Heimat. Und die, die zu Hause geblieben sind, haben Fernweh. Sind wir nicht alle Kapverdianer*innen?

Kurzum, unser dritte Elternzeitreise war ein gelungener Versuch, dem Hamsterrad mal wieder ein paar Wochen abzutrotzen. Man hat viel erlebt, obwohl sich viele Tage ähnelten. Und genau das ist das Schöne an einer längeren Reise: die Zeit zwischen den vermeintlichen Highlights. Die des Seins. Wir kommen wieder. Prometido!