Zeitgeist

Abenteuer, Abenteuer!

Rüdiger Nehberg

Er ist tot. Nachdem er bereits schon so oft tot geglaubt worden war. Nun ist es endgültig. Die Rede ist von Rüdiger Nehberg, dem Konditor aus Hamburg, der mich, als Teil der letzten Generation analoger Natives wie kaum ein anderer zum Reisen inspirierte.

Die Befahrung des Blauen Nil in Äthiopien oder die legendäre Durchquerung der Wüste Danakil 1974 sind für mich die Abenteuer-Highlights meiner Jugend. Aber auch die Überquerung des Atlantik mit dem Tretboot oder die Wanderung von Hamburg nach Rom ohne Ausrüstung und Geld sind heute teils vergesse Klassiker. Auf seinen Reisen war er, im Gegensatz zu den heutigen Begpackern, nie auf die Almosen anderer angewiesen. Er besorgte sich sein Essen immer selbst!

Später wurde aus dem Abenteurer eine Art Menschenrechtler, der sich zuerst für die Rechte der Yanomami einsetzte und später gegen die weibliche Genitalverstümmelung Front machte. Vielen war er jedoch vor allem „Sir-Vival“ bekannt. Sich durchzuschlagen in der Wildnis, Überleben in der Natur ohne Hilfsmittel war sein Steckenpferd. Das wiederum hat mich nie interessiert.

Noch letztes Jahr hörte ich ihn mit seinem leichten norddeutschen Akzent auf einem Vortrag über illegale Goldgräbercamps in Brasilien auf der ITB in Berlin vor jungen Influencern sagen: „…damals als man noch Abenteuer erleben konnte….“. Ein Blick in Reihen, der teilweise in ihren Smartphones vertieften Zuhörer offenbarte die tiefe Kluft zwischen den Generationen. Wo sind sie hin die Zeiten eines Rüdiger Nehberg, der sich nur mit seinem Survivalgürtel über dem Amazonas absetzen ließ, um erst knapp vier Wochen später wieder in die Zivilisation zurückzukehren. Und das ohne Kamera? Unerhört, ja geradezu undenkbar. Heutzutage.

Er wird mir auch bzw. vor allem deshalb in Erinnerung bleiben, weil er immer eine faszinierende Story zu erzählen oder eine neue, spannende Route am Start hatte. Dieser Tage verwechseln leider viele eine spannende Story mit technisch gut gemachten Bildern. Es gibt sicherlich heute genauso wie vor 40 Jahren packende Dinge zu erleben, jedoch bedarf es dafür Leidenschaft und Enthusiasmus. Bedauerlicherweise ist das vielen noch lebenden Protagonisten der Szene im besten Falle abhanden gekommen. Nehbergs Lexikon „Die Kunst des Überlebens“ mit Themen wie: „Wie verhalte ich mich bei Folter, wie fliehe ich aus Gefangenschaft, wie verläuft ein Verhör? muss den heutigen sogenannten Abenteuer-Unternehmern eher unwirklich anmuten. Sind diese doch heute längst planbar geworden.

Kurzum, es ist Zeit neue Wege jenseits von Planbar- und vor allem Austauschbarkeit zu beschreiten, Neues auszuprobieren und unsere Zuhörer wieder mit endogenen Erlebnissen zu fesseln. Gerade in Zeiten wie diesen.

Let the story be first again.