Reiseberichte Zeitgeist

Wo der Hopfen Hopf’a hoasst

the village of Brunn

kaum scheint das Schlimmste überstanden, da fordern die Deutschen schon wieder Ihre Reisefreiheit ein. Man habe ein Recht auf Abenteuer, darauf andere Völker kennenzulernen, seinen Horizont zu erweitern und vor allem mit seinen Ausgaben anderenorts Arbeitsplätze zu sichern. Nach wochenlangem Lockdown möchte man endlich wieder raus, an den Pool, ans Buffet und an den Strand, um seine 2m2 einzufordern.

Wenn man sich jedoch mal nüchtern die Lage betrachtet, so kann niemand wirklich ernsthaft darauf hoffen in den nächsten Wochen irgendwo unbeschwert die „schönste Zeit des Jahres“ zu verbringen. Allen Forderungen der Industrie zum Trotz.

Dabei kann man schon seit Wochen Reisen. Reisen innerhalb Deutschlands zu einem der mehreren tausend landwirtschaftlichen Betriebe, die im Zuge der Krise händeringend nach Helfern suchen. Ja nun, aber da muss man ja arbeiten! Ach Sie dachten wohl wir verändern die Welt zum besseren und alles bliebt beim alten? Daraus wird wohl nichts, befürchte ich. Aber wer hat den gesagt, dass Urlaub keine Arbeit wäre. Viele Reisende suchen genau das: Ihre körperlichen Grenzen ausloten, einmal den Kopf freibekommen, andere Menschen und deren Geschichten, Speisen und Getränke kennenlernen. Genau das ist mir alles auf einer Reise in die Hallertau im Mai des Jahres 2020 passiert. Und ich muss sagen, gleichwohl ich zu Hause nicht mit Madagaskar, Tschad oder Libanon protzen konnte, so habe ich doch eine meiner schönsten Reisen der letzten Jahre verlebt. Trotz oder gerade wegen Corona.

In einem kleinen Dorf in Niederbayern arbeitete ich 12 Tage lang 11 Stunden täglich ohne freien Tag bei einem Hopfenbauern in 4. Generation. Gemeinsam mit mir halfen Menschen verschiedenster Herkunft, die alle dem Aufruf der Bauern gefolgt waren. Unser weltoffener, freundlicher und aufmerksamer Gastgeber eröffnete uns allen eine neue Welt: die des Hopfens. So kann ich heute jedem und jeder 30min aus dem Stand einen Überblick über diese besondere Pflanze, deren Anbau und Verarbeitung geben. So ganz nebenbei.

Das Gefühl nach 15 Jahren Bürotätigkeit mal wieder mit den eigenen Händen geschafft zu haben, hat mich trotz der Anstrengungen glücklich und zufrieden gemacht. Etwa so wie wenn man nach tagelangem körperlich anstrengendem Aufstieg auf dem Gipfel steht. Und wie beim Aufstieg auch wurden wir mit leckerer (bayrischer) Hausmannskost verwöhnt. Nur das wir hier nichts dafür bezahlt haben, nein, wir haben sogar etwas verdient. Und obwohl wir soviel erlebt haben, mussten wir nicht am CO2-Ablasshandel teilnehmen, weil wir ja nicht mal geflogen sind. Unfassbar. Und so etwas mitten in der Krise.

Wer also einmal abschalten, aktiv Urlaub machen und in fremde Welten eintauchen will ohne der Umwelt zu schaden und darüber hinaus noch etwas sinnvolles tun möchte, dem sei ein Aufenthalt auf einem von Tausenden von Bauernhöfen in Deutschland empfohlen. Die persönliche Erdung nebst Neuorientierung ist (fast) garantiert. Ein „immer-weiter-wie-bisher“ in Zeiten, in denen sich Selbstverständlichkeiten auflösen, bringt uns womöglich um viele, neue schöne Erfahrungen die Welt einmal anders zu erleben. Jenseits von Poolliege und Fensterplatz im Safarifahrzeug.

Bleiben Sie neugierig und offen für Neues, gerade in diesen Zeiten. Wir können keine andere Welt bauen, wenn wir nicht liebgewonnene Dinge auch mal hinter uns lassen.

Tuez le confort!