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„Ich muss hier raus!“

Keep your distance

Es ist schwierig, ja geradezu unmöglich die Verwerfungen, Ambivalenzen und Long Covid Folgen zu beschreiben, die der weltweite Tourismus in den letzten 16 Monaten infolge von Corona durchlebt hat. Zu tiefgreifend sind die Veränderungen. Sagt man jedenfalls. Um die Auswirkungen der Pandemie auf unsere Reisegewohnheiten und die sich daraus ergebenden Chancen besser verstehen zu können, ist es notwendig einen genaueren Blick auf den modernen Reisenden selbst zu werfen.

Für viele Bewohner der westlichen Industrieländer gehört der alljährliche Urlaub zum scheinbar nicht verhandelbaren Grundrecht. Das Recht auf Reisen gilt vor allem für diejenigen, die das ganze restliche Jahr hart gearbeitet haben. Dabei ist für die Mehrheit die Reise zum Anderen in aller erster Linie eine Flucht. Eine Flucht aus dem Alltag. Weg aus dem Stress, aus den Verpflichtungen, aus der Verantwortung und seinen sozialen Rollen als Vater/Mutter, Peer, Kollege/in oder Nachbar/in. Und genau dieser Fluchtweg war plötzlich von heute auf morgen versperrt. Das kleine private Glück der Freiheit ausgeträumt. Es galt auf einmal das Diktat des Alltags. Und das auf unbestimmte Zeit. Und unter Pandemiebedingungen. Welch Horror, welch einmalige Chance. Da stand man nun auf sich zurückgeworfen, eingeschlossenen mit seinen Liebsten. Und doch bzw. gerade deswegen wollte man nur raus. Was sagt das eigentlich über uns und über unser Leben aus? Ich mag gar nicht darüber nachdenken. Oder doch?

Da war sie auf einmal die unverhoffte Zeit Dinge zu tun, die man schon immer mal tun wollte, wenn man mal Zeit hätte. Aber irgendwie war auch alles viel zu unsicher. Man wusste ja gar nicht, in welche Richtung sich die Dinge ändern würden. Am Ende hätte man vielleicht nur wieder die falschen Entscheidungen getroffen. Könnte ja sein, ist halt irgendwie auch nicht völlig auszuschließen. Wäre es da nicht leichter seine Sehnsüchte, seine Träume in die Urlaubszeit zu projizieren? Sich mal wieder richtig gehen zu lassen, mal wieder das Abenteuerleben genießen zu können oder am besten alle für sich arbeiten zu lassen. Das würde letztlich nur ein weiter-so-wie-bisher bedeuten. Das wäre sicherlich mehr drin, finde ich.

Was wäre, wenn man diese Situation als einmalige Chance begreifen würde? Dinge mal anders anzugehen, manches vielleicht einfach mal ganz zu lassen, sich auf Neues einzulassen? Einfach mal machen. Alte meist mit Konsum verknüpfte Glücksversprechen durch Neue zu ersetzen. Stellen Sie sich vor, ein Urlaub wäre keine Flucht, kein Generieren sozialen Prestiges mehr. Kein Stress, keine Erholungsarbeit. Vielleicht bräuchte man letztlich gar keinen Urlaub mehr! Also nein, soweit dürfte man es natürlich in keinem Falle kommen lassen. Das ist ja wohl ausgeschlossen. Was würde da nur aus dem Naturschutz und der Völkerverständigung. Die bliebe mal wieder auf der Strecke. Nein, da muss man klar sagen, am deutschen Wesen.. das war wieder was anderes. Ich meinte vielmehr, wir haben die verdammte Pflicht zu Verreisen, damit wir das Klima schützen und Arbeitsplätze erhalten.

Aber jetzt mal Hand aufs Herz. Gibt es nicht auch alles wofür man früher um die halbe Welt gereist ist, um die Ecke? Reisen könnte wieder bewusster, sinnhafter und gemeinschaftlicher gedacht werden. Es ist kein Malus, wenn uns nichts fehlt, wenn man nicht gleich wieder sofort alles nachholen muss, was man zuletzt verpasst hat, solange es noch geht.

Es wird Zeit, dass die schönste Zeit des Jahres die 50 Wochen zu Hause sind und nicht umgekehrt!