One day in Ränder der Globalisierung Reiseberichte

One day in…

Ein Blick in meinen handlichen viereckigen Zauberkasten verriet mir, dass das Wetter in den kommenden Tagen kaiserlich werden sollte. Da mir gerade die Decke bedrohlich nahe über dem Kopf schwebte, ward die Entscheidung schnell gefällt: Mit einem Tag im Erzgebirge wollte ich mir mal wieder den Mief aus den Gehirngängen blasen und in der glitzernden Welt der Schneekristalle etwas sportiv tätig werden.

Over the Ore mountains
Over the Ore mountains

Der graumelierte Leser wird vermutlich beim Stichwort Erzgebirge zuerst an die Heroinszene in „Pulp Fiction“, die Jüngeren wahrscheinlich eher an Crystal Meth, Clausnitz oder Räuchermänner denken. Ja, aber nicht nur, denn eine Reise in das Herz Mittelsachsens aka Erzgebirgskreis offenbart dem mündigen Gast noch ganz andere Facetten als gemeinhin angenommen.

Über das „Tor zum Erzgebirge“ (Chemnitz) reiste ich via Freiberg und Mulda in immer kürzer werdenden Zügen und zuletzt per Bus hinauf zum Ort meiner Kindheit. Gut drei Stunden später, verabschiedete mich der Busfahrer als letzten Fahrgast direkt vor der Haustür. Nach einem kurzen Austausch der hier üblichen Grußformeln, die weniger durch inhaltliche Feinheiten als vielmehr an die dem Grunzen nicht unähnliche Laute erinnern, stehe ich auf meinen Langläufern und steche in ein Meer aus tiefgefrorenen Wellen aus Schnee und Eis. Die Schneeschuhe gleiten wie von allein, der stahlblaue Himmel weitet sich über mir und wird nur von sich scheinbar gegenseitig verfolgenden Flugzeugen hier und da unterbrochen. Der Blick über die weite sonnengetränkte Berglandschaft zieht mir die Mundwinkel auseinander und lässt in mir ein Gefühl von Glück aufsteigen. Kein Mensch ist unterwegs. Ich bin völlig allein in der Natur und kann mich an millionenfach glänzenden Schneekristallen satt sehen. Und während ich so dahingleite, fängt es an in meinem Kopf zu blubbern. Ein Gedanke jagt die nächste Idee, die sich wieder unerwartet mit einem anderen Einfall verbündet und so ungeahnte, neue Perspektiven produziert.

Ab geht'er!
Ab geht’er!

Am Abend, nach einem kräftigen Essen in der Stube lese ich noch im Bett liegend im Roman meiner Wahl, während das Holz im Ofen knackt und die aus der Kältestarre langsam wieder erwachenden Fliegen anfangen zu brummen. Internet und selbst Mobiltelefon gibt es hier nicht, so dass ich genügend Zeit habe, die Flugkünste meiner Mitbewohner zu bewundern.

Wo war der Srasse nochmal?
Wo war der Strasse nochmal?

Nach einer fast halbtägigen Schlaforgie, einem leckeren Frühstück und einer weiteren Einheit auf den schmalen Schneebrettern trete ich den Heimweg an. Durch eine glückliche Fügung stehe ich wenige Zeit- und Siedlungseinheiten später an einer Bushaltestelle, an der sich, durch eine mindestens genauso unerwartete Zufälligkeit nur drei Minuten später, eine hydraulische Tür öffnet und ich nach der Zahlung von dreieinhalb Talern mit dem Hinweis „Das kriegmor schoa hi.“ in meinem bequemen Sitz sinke, während draußen die Winterlandschaft in völliger Ruhe an mir vorbeizieht. Kurz hinter der nächsten Dialektgrenze unterbreche ich nochmal meine Reise, um den leckeren lokalen Backerzeugnissen meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Eine Unterbrechung, die sich d’ailleur immer lohnt. Nach weiteren 82km as the crow flies befinde ich mich wieder in meiner Wahlheimat, die mich dieses Mal mit lärmenden Fußballfans begrüßte.

Ein Tag in den Ore mountains ist digital detox für den Geist und Anzeit für den Körper.