Reiseberichte

Mit der Ursula über den Balkan

Ursula nimmt einen Sonnenbad

Nachdem ich meinen Chef davon überzeugt hatte, dass es eine gute Idee wäre mir ein Jahr unbezahlten Urlaub zu genehmigen, stand meinem Plan mit dem Motorrad nach Odessa zu fahren nichts mehr im Wege. Fast nichts. Ich brauchte lediglich nur noch einen Motorradführerschein, das dazu passende Motorrad mit Klamotten, Werkzeug, Aluminiumkoffern, Helm, Ersatzteile…. Und das Mitte Juni.

Nach ein paar Wochen intensiver Suche kaufte ich eine MZ 250 TS, Baujahr ’74 für die schon mein Vater geschwärmt hatte. Ich taufte sie Ursula- benannt nach meiner Oma, die für mich der Inbegriff für Zuverlässigkeit und Ausdauer ist. Der erste bei Ebay gebraucht ersteigerte Helm war zu groß, der zweite zu klein. Bei der praktischen Prüfung ein Tag nach meinem Geburtstag scheiterte ich denkbar knapp. Somit konnte ich erstmal das Motorrad nicht selbst aus der Werkstatt holen. Kurzum es lief alles nach Plan, Mitte August.

Ursula nimmt ein Sonnenbad
Ursula nimmt ein Sonnenbad

Mitte September nach zwei vergeblichen Versuchen (einer endete bei Chemnitz mit defekten Kurbelwellendichtungsringen, der zweite kurz vor Pilzen in der tschechischen Republik mit Lichtmaschinenschaden) lagen die Nerven blank. Die Häme der Nachbarn war fast greifbar. Selbstzweifel kamen auf. Die Zeit lief davon. Hatten Sie vielleicht doch recht, die da behaupteten „so etwas“ müsse man sorgfältig planen?

Einen dritten und letzten Anlauf wollte ich dennoch wagen. Jedoch ging ich dieses Mal kein Risiko ein und tastete mich, immer aufmerksam hörend, was Sie mir zu „sagen“ hatte, Richtung Süddeutschland vor. Ein alter MZ Fuchs hatte mir erklärt, dass man ein Gespür für das Motorrad entwickeln müsse. Man könne hören, was Ihm fehlt, wenn Sie mal nicht an- oder unvermittelter Dinge ausgeht. Das stellte mein bis dato, wenngleich wenig ausgeprägtes Technikverständnis völlig auf den Kopf. War ich doch immer davon ausgegangen: Schalter an, Motor läuft, Schalter aus, Motorrad aus. Doch der Mann sollte recht behalten.

Über Jena, vorbei am einzigen Bauhaushotel Deutschlands in Probstzella, stieß ich in Regensburg auf die Donau und einen völlig verzweifelten chinesischen Studenten, der nach 10 Jahren Deutsch lernen, den ersten Tag in Deutschland/Bayern war. Völlig verzweifelt ob der Tatsache, das er niemanden verstand, war er sichtlich dankbar einen (Sachsen) gefunden zu haben, mit dem er sich verständigen konnte. Keine 20km südlich von Regensburg, direkt an der Donau gelegen, liegt die Walhalla, die deutschen Ruhmeshalle, in der berühmte Deutsche sowie mit der Geschichte und den deutschsprachigen Völkern verbundenen Persönlichkeiten geehrt werden. Noch ein unerwartetes “Heileit”.

Walhalla
Walhalla

Weiter ging es entlang der Donau über Passau, Linz (Kulturhauptstadt Europas 2009) ins berühmte Mostviertel zwischen Ybbs und Enns, wo man im Herbst allerorts den leckeren Birnenmost verkosten kann. Er ist mit unserem Federweißer vergleichbar, schmeckt aber ungleich besser. Bei einer leckeren Jause (Brotzeit) mit Birnenschnapps endet der Fahrtag meist früher als gedacht.

Hinter Wien in einem kleinen spießigen Ort mit dem Namen Bad Deutschaltenburg direkt an der slowakisch-österreichischen Grenze traf ich bei meiner Suche nach einer nächtlichen Bleibe auf drei Landsmänner, die als Monteure schon seit längerem in der Diaspora weilten. Das kleine Zimmer, welches sie zu dritt teilten, war voll von Dosenbierkisten, Schnellwurst und Feuertöpfen. Kaum hatte ich das Zelt im Hof aufgebaut, lagen schon drei Roster auf dem Grill und die Blechroulade in meiner Hand. Der Samstagabend war gerettet. Manfred, Reick und Wolfgang sei Dank. Einzig die Ansage, dass ich gerade ein Jahr unbezahlten Urlaub mache, störte für einen kurzen Moment die ostdeutsche Glückseligkeit. Schön wars.

Willkommen bei den Monteuren
Willkommen bei den Monteuren

Zelt verstaut, Alukoffer zu, vier Mal antreten und los ging es am nächsten Morgen. Rängdändäng,rängdändäng. Ursula freute sich das es weiterging. Diesmal fuhrne wir auf slowakischer Seite entlang der Donau, einer Region, die lange zu Ungarn gehörte und in der heute noch alle Ortsnamen auf ungarisch ausgewiesen werden.

Nach 1150km Landstraße und sechs Tagen Fahrt erreichten wir Budapest und damit auch Rosza und Max. Die Freude war meinerseits überschwenglich, da ich es am Ende selbst nicht mehr für möglich gehalten hatte, das wir es jemals bis Budapest schaffen würden. Ursula kam ins Parking, wo sie ungläubige Blicke einheimste und mir einen kleinen Rabatt bescherte. Den Abend verbrachten wir bei Sensational und Spectre, zwei Jungs aus New York, die dicken Industrial Hop mitgebracht hatten. Max sei Dank.

Entlang der Donau östlich von Linz
Entlang der Donau östlich von Linz

In Budapest wälzte ich dann die (ungarischen) Atlanten. Dabei stellte ich fest, dass alle weltweiten Ortsnamen auch nur relativ sind. Am Ende war klar, dass ich auf weitere zwölf Tage reine Fahrt nach und zwölf Tage zurück von Odessa einfach keinen Bock hatte. Zumal die Rückreise Ende Oktober nach Deutschland mit den dort herrschenden Temperaturen einfach nicht zu bewerkstelligen war. Also entschied ich mich für den Autozug zurück nach Deutschland. Das hieß konkret, ich fahr weiter nach Süden, Richtung Küste, Richtung Sonne. Nach drei Tagen schmerzte der Hintern schon nicht mehr so sehr und so verabschiedete mich von Max und Rosza, die mal wieder wundervolle Gastgeber waren und brach nach Pecs im Süden Ungarns auf.

Selten habe ich eine Stadt besucht, in der die Moschee, die Kathedrale und die Synagoge um den Markt herum gruppiert waren. Die Stadt, früher unter dem Namen Fünfkirchen bekannt, ist 2010 Kulturhauptstadt Europas. Wenn man etwas nicht verpassen sollte, dann ist es das Csontváry-Museum im Herzen der Altstadt. All diejenigen, die den Nachmittag mit einem leckeren Rotwein gepflegt ausklingen lassen wollen, sei ein Besuch im südlich der Stadt gelegenen Villány- Siklóser Weinanbaugebiet empfohlen.

Die Synagoge in Pecs
Die Synagoge in Pecs

Der Zöllner an der Drava, die Ungarn von Kroatien trennt, fragte nur ungläubig: “Das Motorrad, wie alt?” Als ich Ihm 35 erwiderte, winkte er mich nur noch kopfschüttelt durch. Willkommen in Kroatien, das ich aber nach nur 100km, jetzt über die Save in Richtung Bosnien- Herzegowina wieder verließ. Ich war keine 2 km gefahren, als mich die ersten abgebrannten und völlig zerstörten Dörfer begrüßten. Auf den ersten 20-30km (heute mehrheitlich von Serben bewohnt): zerschossene Häuser zu beiden Seiten der Straße.

Dieses Bild änderte sich ziemlich abrupt mit dem Auftauchen der ersten Minarette- im mehrheitlich von muslimischen Bosniern bewohnten Teil der heutigen Förderation BiH.

Wie ein Halbmond umschließt das mehrheitlich serbisch bevölkerte Gebiet das bosnische von Nordwesten nach Nordosten. Genau an dieser Grenze in einem Talkessel liegt das von den Türken im 15.Jh. gegründete Sarajevo. Früher der Inbegriff des friedlichen Zusammenlebens verschiedenster Religionen, ist sie nach der über vierjährigen Belagerung durch die Serben und die yugoslawische Armee nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Kurz hinter der bosnisch-kroatischen Grenze
Kurz hinter der bosnisch-kroatischen Grenze

Über 200.000 Einwohner haben die Stadt während des Krieges verlassen, aber was noch schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass dies zumeist Kroaten und Serben waren. Wie weiße Sommersprossen füllen die muslimischen Friedhöfe jede noch so kleine grüne Lücke der Stadt.

ein muslimischer Friedhof Sarajevos
muslimischer Friedhof in Sarajevo

Ich war fasziniert von der Stadt, ihrer Wildheit, ihres heruntergekommenen Charmes und unwiderstehlichen Trotzes wegen. Ihre vielen Moscheen erinnern, genauso wie ein Blick auf die Speisekarten der vielen kleinen, um den zentralen Altstadtplatz- Baščaršija- angeordneten Schnellrestaurants, an Ihre türkische Vergangenheit. Die Cevapci, die es hier gibt, sind angeblich die besten des Balkans. Ihre goldenen Jahre hatte Sarajevo in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts als sie 1984 die gesamte Weltelite zu den olympischen Winterspielen empfing. Seitdem ging es kontinuierlich bergab, was mich aber als degenerierten Westler eher anzieht. Übrigens, wer sich schon immer gefragt hat, wo sein 2er Golf Diesel abgeblieben ist, wird er ihn hier wiederfinden

Schachspieler in Sarajevo
Schachspieler in Sarajevo

Sarajevo hinter uns lassend querten wir das Dinarische Gebirge, das sich in Nord-Süd Richtung parallel zur Adria über den Balkan erstreckt. Mit der Ursula über 1000m hohe Pässe unter voller Beladung zu fahren war nicht einfach. Als erstes verabschiedete sich meine letzte Zündkerze und dann auch noch der Fußhebel mit dem man in die verschiedenen Gänge schaltet. Letzteren fand ich wenige hundert Meter hinter mir auf der Straße liegend wieder. Eine passende Zündkerze fand ich jedoch bis zum Schluss nicht. Nach gut 100km erreichten wir Mostar. Bekannt wurde diese Stadt durch Ihre atemberaubende Brücke über den Fluss, die von den Türken im 16.Jh. gebaut wurde und bis zum Balkankrieg den westlichen kroatischen und den östlichen bosnischen Teil der Stadt miteinander verband. Nach Ihrer Zerstörung im Krieg wurde Sie 2005 mit Geldern der UNESCO wieder aufgebaut. An dieser Stelle sei ein Buch empfohlen, das ebenfalls von einer von den Türken gebaut Brücke handelt: „Die Brücke über die Drina von Ivo Andric ist ein Muss für jeden Balkanreisenden, da es einerseits die Geschichte des Balkan ausführlich schildert und gleichzeitig einen Einblick in die Gedankenwelt der einzelnen Konfessionen gibt. Nicht ohne Grund erhielt Andric in den 1960er Jahren dafür den Nobelpreis für Literatur.

die Brücke von Mostat
die Brücke von Mostar

Einen Fahrtag später erreichten wir endlich die dalmatinische Küste Kroatiens. Bei Palmen, türkisfarbenem Wasser und tollen Bergen entschieden Ursula und ich spontan ein paar Tage zu verweilen. Dubrovnik, der Perle der Adria, statteten wir nur einen Kurzbesuch ab. Busladungen voller Japaner und Russen waren dann doch zuviel des Guten. Wir schifften uns Richtung Hvár ein. Eine schmale, langgezogene Insel vor der Küste, die sich dank ihrer kleinen kurvenreichen Straße perfekt zum Motorrad fahren eignet.

Berühmt ist die Insel auch wegen Ihres Rotweins Plavac Mali, der überall auf der Insel angeboten wird. Ein Besuch der beiden aus griechischer Zeit stammenden Orte Hvár und Stari Grad sollte man einplanen. Nach einer völligen Überdosis Rotweins ging es mit zittrigen Beinen und trüber Optik entlang der Küstenstraße Richtung Norden. Überall am Weg findet man UNESCO- Kulturerbestätten wie Trogir, Split oder Sibenik. Mit Brela liegt auch einer der vermeintlich schönsten Strände der Welt laut des Forbes Magazine direkt gegenüber der Insel Hvár.

Hvar
Hvar

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die dalmatinischen Alpen

Auf dem Weg von Zadar nach Rijeka gerieten wir am frühen Nachmittag in ein Unwetter, das innerhalb von halben Stunde aufzog, den Himmel verdunkelte und Hagel, Sturm und extremen Wind folgen ließ. Und Ursula und ich auf der schmalen Küstenstraße zwischen zwei gefühlt 100km voneinander entfernt liegenden Dörfern unterwegs. Zuerst suchten wir unter einem Busch Zuflucht, dann bei einer Familie, die mir trockene Socken schenkte und selbstgemachten Sirup anbot, dann in einer kleinen Herberge.

Die Temperatur war innerhalb der ersten Stunde um 15 Grad gefallen, der Wind zu Orkanstärke angewachsen, so dass es das Motorrad mehrfach einfach umwehte. Die Welt schien untergehen zu wollen. Das Phänomen des Bura, wie die Kroaten sagen, tritt regelmäßig unregelmäßig auf und kann großen Schaden anrichten. Am nächsten Morgen startete ich bei 8 Grad und blauem Himmel.

am Hafen von Triest
am Hafen von Triest
Triest
Triest

Am späten Nachmittag erreichten wir dann endlich Triest. In Italien gelegen, aber unmittelbar an Slowenien und Kroatien angrenzend, fungierte die Stadt spätestens seit den Habsburgern als Brückenkopf verschiedener „Kulturen“. Die Stadt kann auf eine erstaunlich, lange und große literarische Vergangenheit zurückschauen. Joyse, Rilke, Svevo und nicht zuletzt Magris prägten und prägen die Stadt und die Region. Bis heute gibt es original erhaltene Wiener Kaffeehäuser, von denen das San Marco das am wenigsten touristische ist. Weder in Wien, Budapest oder Prag habe ich ein vergleichbares Kaffeehaus besucht. Auch wenn der Kaffee mir den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Noch heute findet man Magris im San Marco, der fast immer rechts von der Eingangstür sitzend ließt, eben dieser Magris, der 2009 in Frankfurt den dt. Friedenspreis erhielt. Sein Buch „ Die Welt en gros und en detail“ ist die Verdichtung der europäischen Literatur und Ihrer Geschichte in mehreren Kurzgeschichten. Wer anspruchsvolle, kopflastige Reiseliteratur mag, ist hier bestens bedient. Die Stadt hat mich oft an Marseille erinnert. Mediterrane Hafenstadt mit vielen Cafés, den typischen Stadtpalästen der reichen Händlerfamilien und einem grünen Umland.

Von Triest aus ging es dann per Autozug in 17h nach Berlin Wannensee, wo ich am frühen Morgen bei Dauerregen und 3 Grad ankam. Willkommen zu Hause. Die restlichen 170km auf der Autobahn bei Regen und Gegenwind sind eine Geschichte für sich. Bereits am Stadtrand von Berlin war ich bis auf die Haut durch. Das anschließende Wannenbad zähle ich zu einem meiner schönsten überhaupt. Nach knapp 3000km endete dann die Fahrt Ende Oktober in Leipzig.

DB "Autozug"

Letztlich haben wir es nicht bis ans Schwarze Meer geschafft, ganz einfach weil das Zeitmanagement unter aller S. war. Aber wer will schon eine durchgeplante, vollorganisierte Reise mit vorhersehbarem Ausgang. Hätte ich auf die vielen Oberplaner und übervorsichtigen Menschen gehört, würde ich heute noch von so einer Reise träumen. Um es mit E. Kästner zu sagen: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.”

5 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Hallo Rolf,

    Fotos habe ich endlich eingefügt. Danke für den Kommentar.
    Wenn Sie selbst einen interessanten Bericht haben, dann raus damit.

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