Afrika Ränder der Globalisierung Reiseberichte

Merhaba in Eritrea

Eine Reise nach Eritrea ist in erster Linie eine Reise in umgekehrter Richtung auf der timeline.

Je nachdem wie weit man sich Christi Geburt oder Mohammeds Auszug aus Mekka nähert, findet man sich auf einmal im Italien der 1920er Jahre, in Äthiopien der 1960er, in der DDR der 1980er oder wohl am bedrückendsten im Nordkorea der Gegenwart wieder.

Und weil im kleinen Land am Horn von Afrika seit längerem auf seltsame Weise die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und zum Glück die Roten Khmer nicht hier sondern in Kambodscha gewütet haben, kann man diese zum Teil sehr verschiedenen historischen Erlebniswelten en meme temps heute noch erleben. Und auch nur hier und sonst nirgendwo auf unserer runden Kugel. Wer hätte das gedacht?

Fiat 500 als Fahrschulfahrzeug

So leicht kommt man aber gar nicht zum Blick in den historischen Rückspiegel. Die Machthaber mögen ausländische Gäste nur bedingt. Wenn man Ihnen ein Visum erteilt, dürfen Sie im besten Falle nur die vier größeren Orte in Zentrum des Lands besuchen. Sofern Sie die dafür notwendigen Permits erhalten. Der Rest des Landes ist touristisches Sperrgebiet. Reist man jedoch über die kürzlich geöffnete äthiopisch-eritreische (grüne) Grenze ein, kann man den Süden des Landes auch einfach so en passant besuchen. Man wird den Eindruck nicht los, dass es sich bei dem nordkoreanischen Eritrea um potemkinsche Dörfer handelt. Kein Soldat, kein Polizist weit und breit. Das ist auch gut so, weil wir weder einen Einreisestempel noch einen Passierschein haben.

Das Rathaus von Asmara

Die Menschen stört das nicht. Im Gegenteil. Die wenigen, denen wir begegnen, kommen auf uns zu, fragen woher wir kommen. Die meisten von ihnen wirken sehr arm. Viele tragen die gleichen Sachen bzw. Tarnuniform. Das Land wirkt dabei gespenstisch leer. Es gibt so gut wie keine privaten Fahrzeuge, man hört kein Hupen, die Menschen in den Städten leben leise, zurückhaltend. Niemand möchte auffallen oder sich hervor tun. Abends ist es oft dunkel. Die Stromversorgung selbst in der Hauptstadt ist häufig unterbrochen. Routiniert werden Kerzen angebrannt und man isst und trinkt bei Kerzenschein.

Das italienische Erbe des Landes soll nicht unerwähnt bleiben. Die in Asmara und Decemhare zu findenden Art Déco Gebäude sind in ihrer Zahl und Erhaltungszustand einmalig. Alles was (futuristische) italienische Architekten zur damaligen Zeit nicht in Italien bauen durften, errichteten sie kurzerhand in Eritrea. Dabei entstand allein in der Hauptstadt ein riesiges Freilichtmuseum aus mehr als 450 noch völlig intakten Gebäuden. Vom Krematorium über das Schwimmbad bis hin zum Autohaus: kein Gebäude ohne zum Himmel ragende Antennen und an Raumschiffe erinnerte Fassaden. Bei einem Macchiato aus der originalen Espressomaschine mit einem zarten, luftigen Millefeuille kann man dieses Ambiente am besten auf sich wirken lassen.

Italien in Eritrea

Durch die kulturelle Brille betrachtet, verläuft quer durchs Land der „Merhaba-Äquator“. Auf der einen, südlichen Seite ist man im Land der vorwiegend orthodoxen Tigrinnyia wohingegen auf der nördlichen, dem Roten Meer bzw. dem Atbara zugewandten Seite der arabische Einfluss unverkennbar ist. Nicht zufällig verläuft der kulturelle Äquator entlang der Abbruchkanten des Abessinischen Hochlandes. Und wo sich ein Hochland mit vielen Bergen unmittelbar an eine Tiefebene anschließt, sind die kurvigen Straßen nicht weit. Man hat das Gefühl sich in Ruanda mit seinen tausend Hügeln und noch viel mehr Kurven zu befinden. Aber jetzt ist genug mit den Bezügen auf andere Epochen und andere Länder. Am Ende müssen Sie wohl doch nach Eritrea reisen, wenn man einem großen Philosophen Glauben schenken mag, der behauptet hat, dass „das Ganze immer mehr als die Summe seiner Einzelteile ist.“ Da haben wir den Salat.

the living tankyard
Das Busdepot fliegt gleich weg